Klassik Heute, Germany (10/10/10)
March 17, 2016
Christof Jetzschke
Zeitgenössische Blockflötenkonzerte aus China, England und Dänemark hat die Ausnahmeflötistin Michala Petri bereits vorgelegt. Als Fortsetzung der auf ihrem eigenen audiophilen Label OUR Record-ings veröffentlichten Reihe erscheinen nun Kompositionen deutscher und französischer Herkunft in Weltersteinspielungen. Und wie die vorangegangenen Produktionen wird auch diese tontechnisch makellose Veröffentlichung mit Sicherheit wieder Aufsehen erregen.
Wie gewohnt ist Michala Petris Spiel über jeden Zweifel erhaben: technische Akrobatik, vollendete, fast schon hypnotisierende Tonformung und eine hoch emotionale Ausdruckskunst befinden sich in einem wundervollen Einklang. Dazu ein ungemein an- und aufregendes Kommunizieren mit dem be-stens aufgelegten und unglaublich klangbewusst agierenden Odense Symphony Orchestra unter der Leitung von Christoph Poppen. Es ist denn auch in erster Linie eine geradezu magische Klanglichkeit, mit der die drei hier aufgenommenen Konzerte imstande sind, jeden ihn ihren Bann zu ziehen.
Der 1965 geborene Markus Zahnhausen beschreibt sein Werk Recordare als ein „Monument gegen den Krieg“, als eine „tiefgründige Musik von innerer Virtuosität“, als einen Wechsel von „lyrischer Zartheit“ und „dramatischen Steigerungen“. So mosaikartig zusammengesetzt dieser Wechsel beim ersten Hören auch scheinen mag, so entpuppt er sich allmählich doch als eine organische Entwicklung, basierend auf der Rolle der „Blockflöte als stets präsenter Ich-Erzähler“ und einem „Spiel mit Pausen, mit dem Zeit-fluss“ (Markus Zahnhausen). Vieles scheint der Zeit enthoben, auch in Fabrice Bollons hochvirtuosem Your Voice Out oft he Lamb, einer Hommage des ebenfalls 1965 geborenen Franzosen an das legendäre Konzeptalbum The Lamb Lies Down on Broadway von 1974 der zu dieser Zeit noch dem Progressiv Rock zuzurechnenden Band Genesis. Wie die britischen Art-Rocker in ihren besten Zeiten, so erweist sich auch Bollon als Meister der Verwandlung. Denn die von Genesis aufgegriffenen und in neue Zusammenhänge eingebetteten melodischen, harmonischen und rhythmischen Fragmente sind nur schwer erkennbar, schon gar nicht als originalgetreue Zitate; sie sind vielmehr das Ergebnis eines bisweilen improvisatorisch wirkenden, aber doch sehr zielgerichteten motivischen Entwicklung-sprozesses. Bliebe noch die leidenschaftliche und hoch intensive Musik für Altblockflöte, 25 Streichinstrumente und Schlagwerk von Günter Kochan (1930-2009). Der zu den bedeutendsten Kom-ponisten der DDR zählende Kochan war – nach eigenen Worten – immer bestrebt, „eine menschen-freundliche Musik zu schreiben, die frei ist von Pessimismus und Resignation, die von breiten Schichten der Bevölkerung, das heißt von den aufgeschlossenen Musikfreunden, verstanden werden kann“. Erstaunlicherweise erscheint mir ausgerechnet seine Komposition als nicht so leicht verdaulich, als das am schwersten zugängliche Werk dieser CD.
Um auf die angesprochene Klanglichkeit zurückzukommen: Ein fortwährendes Eintauchen in vielfar-bige Klangwelten ist allen drei Konzerten gemein. Etwaige Fragen nach der jeweiligen Architektur, Tonalität, nach Spieltechniken, nach Besetzung oder nach der Ausgestaltung und den Herausforder-ungen des Soloparts treten für mich dahinter eindeutig zurück. Es ist einfach das unentwegte Spiel mit sämtlichen musikalischen Parametern und Ausdrucksmöglichkeiten und ein oftmals daraus entste-hendes Gefühl von gedehnter Zeit und unendlichem Raum sowie die traumwandlerische Sicherheit, mit der sich Michala Petri und das Odense Symphony Orchestra in diesen Werken aufeinander zu und voneinander weg bewegen, was diese – auch textlich vorzüglich begleitete – Produktion so un-widerstehlich macht. Christof Jetzschke [18.03.2016]